Richard Strauss
ENOCH ARDEN
Heinz Marecek, narrator
Florian Krumpöck, Bösendorfer 280 VC grand piano
Heinz Marecek erzählt Alfred Lord Tennyson’s „Enoch Arden“ in der Vertonung von Richard Strauss. Eine Erzählung, so packend wie die Geschichten von Odysseus oder Robinson Crusoe. Ein Klangrausch als Melodram in der Vertonung von Richard Strauss.
WERKEINFÜHRUNG
von Prof. Hartmut Krones
Richard Strauss
Melodram „Enoch Arden“, op. 38
In einem Melodram, das einen nur gesprochenen Text und eine auf ihn illustrierend oder ausdrucksmäßig Bezug nehmende Musik vereinigt, wird der Textinhalt durch eine die Handlung „nachzeichnende“ oder auch Gefühlsregungen der agierenden Personen ausdeutende Klangschicht zusätzlich interpretiert. Die vom Komponist hiefür verwendeten „Symbole“, die oft auch in reiner Instrumentalmusik „inhaltliche“ Hinweise geben, können aber durch das Vorhandensein eines Textes weit besser „verstanden“ werden, zudem wird der Komponist seine Musik besonders plakativ gestalten, um die Aufmerksamkeit auf ihren klanglichen „Kommentar“ zu leiten.
Wenn man von Vorformen des Melodrams in der altgriechischen Tragödie sowie in frühen Schuldramen absieht, entwickelte sich ab ca. 1760 die konzertante Form dieser Gattung: U. a. schrieben Jean-Jacques Rousseau und Georg Anton Benda selbständige Melodramen, daneben wurden einzelne Nummern in Opern als solche vertont, wie später z. B. in Ludwig van Beethovens „Fidelio“ oder in Carl Maria von Webers „Freischütz“. Ignaz Seyfried, Franz Schubert sowie insbesondere Robert Schumann und Franz Liszt waren weitere wichtige Vertreter dieser Gattung, die in Engelbert Humperdincks Oper „Die Königskinder“ einen weiteren Höhepunkt erlebte.
Dieses am 23. Jänner 1897 in München uraufgeführte Werk zog die Beachtung der Musikwelt erneut auf das „für lang schon todt gehaltene Melodram“, und einer der ersten, der die Anregung aufnahm, war der Münchener Hofkapellmeister Richard Strauss. Seine erste Oper „Guntram“ war knapp zuvor ein Misserfolg gewesen, worauf er sich primär der symphonischen Dichtung zugewendet hatte, aber weiter auf der Suche nach neuen Opernstoffen blieb. Da fiel ihm die Ballade „Enoch Arden“ des englischen Lyrikers Alfred Tennyson (in der Übersetzung von Adolf Strodtmann) in die Hände, und er vertonte sie (datiert mit 26. Februar) als Melodram – für seinen „Chef“, den Hoftheater-Direktor Ernst von Possart, einen berühmten „Singschauspieler“, dessen „rollendes R“ Legende war. Die von ihm und Possart am 24. März 1897 in München bestrittene Uraufführung verbesserte das etwas angespannte Verhältnis der beiden Künstler entscheidend; und sie heimsten nun in den folgenden Jahren auf vielen Konzertreisen Triumph um Triumph, ja „ganze Bäche von Weiberverehrung“ ein.
Eigentlich war Strauss der Gattung des Melodrams eher skeptisch gegenübergestanden und hatte sie noch während der Ausarbeitung von „Enoch Arden“ als „Gelegenheitsschund“ bezeichnet, doch ließ ihn der große Erfolg des Werkes deutlich umdenken. Zudem hatte er wohl erkannt, dass ihm die Ballade mit ihrem Wechsel zwischen dramatischer Handlung, poetischen Naturschilderungen und innigen Gefühlsdarstellungen wie in seinen größer angelegten Werken reiche Gelegenheiten zu jeweils adäquater musikalischer „Nachzeichnung“ gegeben hatte. Ihr Inhalt ist kurz folgender:
Enoch Arden (der verwaiste Sohn eines Seemanns), Philipp Ray (Sohn eines Müllers) und Annie Lee (das „schmuckste kleine Mädchen“ im Dorf) wachsen gemeinsam auf. Beide Burschen sehen Annie als die Ihre an, sie aber verliebt sich bald in Enoch. Und nachdem er ein eigenes Boot erworben und ein „Hüttchen“ erbaut hat, heiraten die beiden, zum Kummer von Philipp. Nach sieben Jahren wird ihnen eine Tochter und zwei Jahre später ein Sohn geboren, doch bald darauf verunglückt Enoch in einem entfernten Hafen. Während seines Krankenlagers kommt ein weiterer, aber schwächlicher Sohn auf die Welt, und um seine finanziellen Probleme zu lindern, nimmt Enoch das Angebot einer Reise als „Hochbootsmann“ nach China an. Annie aber, der er einen kleinen Laden einrichtet, ist überzeugt, ihn nicht mehr wiederzusehen. Als dann ihr Geschäft schlecht läuft und das kränkliche Kind stirbt, bietet ihr Philipp seine Hilfe an: Er sorgt für die Schulbildung ihrer Kinder, die ihn schließlich innig lieben und „Vater Philipp“ nennen, und als nach knapp 12 Jahren Enoch noch immer nicht heimkehrt, gibt Annie Philipps Werben nach. Als sie dann noch einmal ein Kind auf die Welt bringt, schwinden auch die letzten Zweifel, ob sie richtig gehandelt hat.
Enochs Schiff war recht bald gestrandet. Er konnte sich zwar mit zwei Gefährten auf eine einsame Insel retten, doch die beiden starben, und er wurde erst nach zehn Jahren gerettet. Als er in sein Dorf heimkehrt, erfährt er von der Wirtin Miriam, was sich inzwischen ereignete, sieht durch ein Fenster das neue Familienglück und beschließt, es nicht zu stören. Als er dann nach einiger Zeit erkrankt, gibt er sich Miriam zu erkennen und bittet sie, seinen Kindern zu sagen, dass er, „sie segnend, für sie betend und sie liebend“ gestorben sei. Das Dorf bereitete ihm dann ein „stattliches Begräbnis“.
Richard Strauss, der die Druckausgabe seiner Vertonung „Tennyson’s Enoch Arden für Pianoforte componirt“ überschrieb, ließ den umfangreichen Text über weite Strecken unbegleitet rezitieren. Bei Schlüsselszenen oder „empfindsamen“ Handlungselementen tritt dann das Klavier hinzu, dem der Komponist zu Beginn das geheimnisvolle, das Wogen der Meereswellen nachzeichnende g-Moll-Vorspiel anvertraut, über dem eine schlichte, in sich kreisende Melodie eine Art „Heimatgefühl“ symbolisiert. Danach übernimmt das Klavier sowohl „Illustrationen“ der Szenerien als auch (vor allem) ein musikalisches Ausgestalten der unterschiedlichen Gefühlsregungen der drei Personen. Und jede dieser drei Personen erhält sofort ein charakteristisches Motiv zugeordnet, mit welchem Prinzip Strauss die Idee der Wagnerschen „Leitmotive“ in persönlicher Form übernimmt. Zunächst wird uns mit einer figuriert hocheilenden Figur Annie Lee vorgestellt, dann mit einer parallele E-Dur-Terzen hochführenden Melodie Philipp Ray und sofort danach Enoch Arden, dessen akkordisches Es-Dur-Motiv von einer Seufzerpause unterbrochen wird und dann mit einem „Ausruf“ in eine Dissonanz springt.
Die folgenden Handlungsstränge werden nun, je nachdem, welche der drei Personen primär betroffen ist, von diesen Motiven bestimmt, die auch die kleinen Zwischenspiele nach inhaltlichen Gesichtspunkten durchziehen. Und auch das Meeresrauschen taucht samt der „kreisenden“ Melodie auf, bis angesichts von Enoch Ardens nahem Tod feierliche Es-Dur-Akkorde und chromatische Linien seine letzten Worte beleuchten und in einen ruhigen Abgesang leiten.
Hartmut Krones
CD Präsentation in den Kasematten Wr. Neustadt
Vielen Dank an ORF Studio2 für den Beitrag:
Gestaltung: Marion Schmid
Kamera: Josef Ettlinger
Schnitt: Irmi Šlapota
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